Das Symbiosetrauma – Das Trauma der Liebe
Der Begriff der Symbiose (griech. : syn-gemeinsam; bios – leben) in der Psychologie beschreibt eine zwar abhängige, sich aber gegenseitig, im Guten ergänzende und nährende Beziehung zwischen zwei Menschen. Vor allem in der Beziehung zwischen Mutter und Kind entspricht die Symbiose einer normalen und wichtigen Entwicklungsphase während Schwangerschaft und frühen Kindheit.
Aus einer gelungenen symbiotischen Phase zwischen Eltern & Kind entwickelt sich eine anschließende Phase der gesunden Loslösung und einer damit einhergehenden gesunden Autonomieentwicklung. Was aber, wenn diese existenziellen Bedürfnisse nach Symbiose nicht genährt sind oder verletzt werden?
In der frühen symbiotischen Phase der Schwangerschaft ist das Überleben des Kindes auf allen Ebenen vom Überleben der Mutter abhängig. Bis zur Geburt ist das Kind in den Nahrungs- und Sauerstoffhaushalt der Mutter eingebunden. Bis es nach der Geburt das Atmen selbstständig übernimmt und die Nahrungsaufnahme auch durch andere Personen sicher gestellt werden kann. Mit der Geburt beginnt der erste wichtige Schritt in die Selbstständigkeit. Gefühle und negative Erfahrungen der Mutter in der pränatalen Zeit, gehen über die Nabelschnur ungefiltert auf das Ungeborene über. Für das Kind ist es nicht möglich zu differenzieren, welches Gefühl ein eigenes und welches zur Mutter gehört.
Nach einer gelungenen und sicheren Säuglingsphase beginnt ein Kind mit etwa 5-6 Monaten sich aus seiner Symbiose mit den Eltern heraus weiter zu lösen. So wird es in seinem weiteren Leben schrittweise, seinem Entwicklungsalter entsprechend, vorgehen. Bis es sich bei Eintritt in das Erwachsenenalter endgültig zu einer selbstsicheren und selbstbestimmten Persönlichkeit entwickelt hat.
Um sich Schritt für Schritt aus der Symbiose mit den Eltern herauslösen zu können, bedarf es zum einen der inneren Sicherheit des Kindes, sich selbst aus der verbindlichen Sicherheit der Eltern heraus zu trauen. Zum anderen bedarf es eines Erwachsenen (v.a. der Mutter), der das Kind in die Selbstständigkeit entlässt und ihm den Raum dafür zur Verfügung stellt.
Oftmals ist eine gesunde Autonomieentwicklung des Kindes jedoch nicht möglich. Z.B. durch Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt. Durch unsichere oder nicht gelungene Bindungsversuche oder durch schwierige äußere oder innere Lebensumstände der Eltern/ Familie, z.B. Verlust oder Trennung, körperliche oder psychische Erkrankungen der Eltern, (co-) abhängige Strukturen, Vernachlässigung, Missbrauch- & Gewalterfahrung usw., laufen die Liebesbedürfnisse des Kindes ins Leere.
Empfindet das Kind eine innere Unsicherheit oder hat es nicht genügend Spielraum, um ein Selbstverständnis für eigene Bedürfnisse und Begrenzungen zu erfahren, so wird sich das Kind nur schwer von den Eltern / Mutter lösen können. Im schlimmsten Fall ist man im Erwachsenenalter emotional noch so gebunden, dass man sich von den Stimmungen und Befindlichkeiten der eigenen Eltern abhängig fühlt und macht.
Solche „Verstrickungen“ können sich auf einer bewussten Ebene abspielen, indem man sich z.B. verantwortlich fühlt für das Leben der Eltern. Ebenso können aber auch unbewusste Themen im Sinne der Systemischen Sichtweise eine Rolle spielen, z.B. dass das erwachsene „Kind“ sich nicht traut, das eigene Leben oder eigene Glück anzunehmen. So werden Beziehungsdramen der Eltern in eigenen Beziehungen reinszeniert und wiedererlebt. Oder finanzielle Schwierigkeiten der Eltern werden im Berufsleben gespiegelt, in dem man unglücklich im Job ist oder selbst in eine finanzielle Misere gerät. Das Kind bleibt dann den Eltern, über die symbiotische Phase hinaus, treu und verbunden.
Gibt es bei Mutter oder Vater selbst unerfüllte abhängige Strukturen und Bedürfnisse, ist es ihnen nicht möglich, dass Kind in die Selbstständigkeit zu entlassen. Sie binden die Kinder aus eigener Bedürftigkeit an sich, um so ihre verstrickten Muster und ungelösten Gefühle nicht spüren zu müssen. Solche Bedürfnisse können konkret von den Eltern formuliert werden durch z.B. „Du bist doch mein einziges Kind!“ oder „...das einzige Kind, auf das ich mich verlassen kann!“ oder „Ohne Dich weiß ich gar nicht was ich tun soll!“. Die Bedürftigkeit der Eltern kann aber auch eventuell lediglich subtil vom Kind wahrgenommen werden.
Diese „frühkindlichen Verstrickungen“ und die frühe Traumatisierung dieser „symbiotischen Liebe“ hat Franz Ruppert, Professor der Psychologie aus München als „Symbiose-Trauma“ bezeichnet. Das „Symbiose-Trauma“ umschreibt die frühkindlichen Verletzungen der symbiotischen Liebe, die das Kind an die Eltern richtet. Wenn diese „ursprüngliche Liebe“ schon Verletzungen oder Trauma erfährt, hat dies gravierende Folgen für die weitere Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Psyche.
Die „Systemische Aufstellungsarbeit“ & das „Aufstellen des Anliegens“ (Ruppert) kann dabei helfen die frühkindlichen Verletzungen und Traumata, die z.T. schon in vorsprachlichen Entwicklungsphasen stattgefunden haben, sichtbar und erlebbar zu machen. So können wir unsere frühesten
Verstrickungen und Abhängigkeitsmuster sichtbar machen und erkennen, inwieweit diese uns bis in die Erwachsenenalter beeinträchtigen. Das ermöglicht uns in ein gesund-autonomes und selbstbestimmtes Leben kommen zu können.
Kim Saskia Heckens